Auf die Frage, welches Theater die eigene Jugend am nachhaltigsten geprägt hat, bekommt man von unzähligen Erwachsenen mit leuchtenden Augen die Antwort: die Augsburger Puppenkiste. Das kleine Marionettentheater gehört zu den meistgeliebten Theatern des Landes und wurde mitten im Zweiten Weltkrieg von Walter und Rose Oehmichen gegründet, um Kindern in düsteren Zeiten ein wenig Freude zu schenken. Die bewegende Geschichte von der Gründung der Puppenkiste, ihrer Zerstörung durch einen Bombenangriff und der Wiedergeburt in Nachkriegsdeutschland erzählt Thomas Hettche in seinem Buch ‹Herzfaden›, das 2020 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand und über das die Süddeutsche Zeitung schreibt ‹wie sich die Erzähl- und Zeitebenen aufeinander zu bewegen und unmerklich ineinander übergehen, das bildet das ästhetische Zentrum dieses Romans. Er ist unverkennbar selbst ein Marionettenspiel›. Seit Jahrhunderten übt die Kunst des Marionettenspiels eine große Faszination auf seine Zuschauerinnen und Zuschauer aus. So schreibt etwa die Autorin Vera de Bluë ‹Puppen und Marionetten verkörpern in ihrer fast naiven Einfachheit (…) genau das, was sie darzustellen bestimmt sind, vollkommen sichtbar gewordene Poesie›. 1810 entwickelte der Dichter Heinrich von Kleist in seiner essayistischen Erzählung ‹Über das Marionettentheater› seine poetologische Theorie, nach der es eine ‹natürliche Grazie› gibt, die sich in der völligen Abwesenheit von Bewusstsein manifestiert und die zu erreichen die höchste und schwierigste Aufgabe eines Künstlers sei. Die Schauspielerin Anna Schudt wird neben Kleists Essay auch noch Theodor Storms Novelle ‹Pole Poppenspäler› aus dem Jahre 1874 vorstellen, in der ein Kind der Faszination des Marionettenspiels erliegt.
Alexej Gerassimez und Julius Heise werden mit einem eigens für diesen Abend gestalteten Programm unsere Reise in die Welt des Marionettenspiels begleiten. Die Perkussionisten sind so vielseitig wie ihr Instrumentarium. Ihr Repertoire reicht von Klassik und Neuer Musik bis zu Jazz und eigenen Kompositionen, mit denen sie rhythmische und klangliche Möglichkeiten auslotet und einen eigenwilligen Sound kreieren. Neben den üblichen Schlag- und Melodieinstrumenten integrieren Gerassimez und Heise auch Objekte aus musikfernen Kontexten, wie Bremsscheiben oder Schiffsschrauben. Und ähnlich wie bei der Marionette, für die es nur ein wenig Holz, Draht und Schnur braucht, damit durch das Spiel ‹eine lebendige Gestalt› entsteht – wie es Hettche eindringlich in ‹Herzfaden› beschreibt – so können hier schon einfache Materialen und Elemente, Holz, Metall, Stein oder Fell, dazu dienen, eine ganz eigene und belebte Klangwelt zu kreieren.