Als in diesem Februar Russland die Ukraine überfiel, wurde den dortigen Medien verboten, die Worte Krieg, Aggression oder Invasion in diesem Zusammenhang zu benutzen, sonst drohe die Liquidierung durch ein Gerichtsurteil oder gigantische Geldstrafen. Stellt man sich in diesen Tagen mit einem weißem Blatt Papier in Russland auf einen öffentlichen Platz, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, verhaftet zu werden.
Das alles erinnert auf furchtbare Art an die Zeit Daniil Charms, der sein Leben lang Angst hatte, von Stalins Geheimpolizei abgeholt zu werden. Mehrmals wurde er inhaftiert, schließlich verhungerte er während der Leningrader Blockade in einer Gefängnispsychatrie. ‹Mich interessiert nur Quatsch, nur das, was gar keinen praktischen Sinn hat. Mich interessiert das Leben nur in seiner unsinnigen Erscheinung!›, schrieb der Autor. Bei Künstlertreffen gab er sich wie eine Figur aus seinen Schriften und saß oft oben auf einem Schrank, hatte einen grünen Hund auf die Wange tätowiert und deklamierte seine Texte von dort aus. Alogisch oder absurd waren jedoch eigentlich nicht seine Texte, in denen er auf den gewaltigen Umbruch von der zaristischen Epoche in die kommunistische wie auf deren Übergang in die stalinistische Zeit reagierte, sondern das Leben selber. Die Schauspieler Wolfram Koch und Werner Eng werden gemeinsam mit dem Musiker Ingo Günther für ‹Wege durch das Land› eine Leseperformance mit Texten des russischen Schriftstellers erarbeiten, die sie auf der Bühne des Theaters im Park erstmals zeigen. Wolfram Koch erinnern Charms’ Texte in ihrer Verzweiflung und ihrer Art gleichzeitig herrlich schwarzhumorig darüber lachen zu können, an Karl Valentin und Samuel Beckett.
Im Zentrum des Abends steht die Textsammlung ‹Zwischenfälle›, die beide schon lange begleitet. Das Buch ist eine Ansammlung von abstrusen Stories und ein wilder Ritt durch die unterschiedlichsten literarischen Genres: Gedichte, kurze und ganz kurze Geschichten, Anekdoten und Dramolette wechseln sich ab.
Musikalisch werden sie dabei vom Theatermusiker und Komponisten Ingo Günther ergänzt, der seit Jahrzehnten mit Fritsch zusammenarbeitet. Mit seiner Hammondorgel wird er improvisatorisch den Abend umrahmen, die Texte begleiten und so den Geist der russischen Grotesken Charms’ musikalisch aufspüren: kaputte Polka, betrunkene Walzer – verzerrt, grotesk und natürlich hochkomisch.