Ein Literaturkonzert mit Sophie Rois und Brot & Sterne
Der Gutshof Schulte-Drüggelte ist auf einem Haupthöhenzug des Haar, zwischen den Ortschaften Delecke und Körbecke bei Soest gelegen und bietet einen sensationellen Ausblick auf den Möhnesee. Mit seinen verwinkelt stehenden Gebäuden ist er ein für die Region charakteristisches Ensemble, das einen lebendigen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb beheimatet. Wenn einem hier im Winter der Wind um die Ohren pfeift, kann man sich sehr gut vorstellen, wie kalt und karg das bäuerliche Leben unserer Vorfahren gewesen sein muss. In solch einer Welt spielt der Roman ‹Das Wechselbälgchen› der österreichischen Schriftstellerin Christine Lavant.
Lavant, die 1915 in Kärnten geboren wurde und stets großer finanzieller Not ausgesetzt war, beleuchtet in Gedichten und Prosa die Schattenseiten der menschlichen Existenz und litt an der Krankheit Skrofulose, die unzählige Narben verursachte und eine starke Hör- und Sehschwäche sowie chronisches Lungenleiden hinterließ. Sie wusste also, wovon sie schrieb, als sie die Geschichte des Wechselbalgs Zitha verfasste: Sie ist die uneheliche Tochter der einäugigen Magd Wrga, geistig zurückgeblieben und körperlich entstellt. Die katholisch-abergläubigen Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner halten sie für ein Wechselbalg, das der Teufel ihnen untergeschoben und mit dem wirklichen Kind vertauscht hat. Zitha wird zwar geduldet, aber verachtet und misshandelt und ihre Existenz wird zur Parabel über die Sündhaftigkeit des Individuums, die Strafe Gottes und den Glauben an Gerechtigkeit. Denn ausgerechnet die aus ärmlichsten Verhältnissen stammende Wrga, die nie ein Zuhause hatte und vielen als wertlose ‹Menschin› erscheint, besitzt jene Herzenswärme, die den anderen fehlt, und wird dafür am Schluss mit dem Leben beschenkt.
Sophie Rois liest aus Lavants Erzählung mit archaischer Wucht und großem Einfühlungsvermögen und bestreitet den Abend gemeinsam mit dem Trio Brot & Sterne. Franz Hautzinger (Trompete), Matthias Loibner (Drehleier) und Peter Rosmanith (Perkussion) gestalten mit ihrer ungewöhnlichen Instrumentierung einen fiebrig-rauen Soundtrack, der scheinbar absichtslos die Wörter umspielt und dem Text die Räume öffnet, die er braucht.