Seit Jahrzehnten öffnen Schloss Rheder und die Familie von Spiegel immer wieder ihre Tore für ‹Wege durch das Land›. Wir werden im Gartensaal des Schlosses sitzen und den vielleicht schönsten Ausblick von ganz Ostwestfalen genießen, wenn wir durch den sogenannten ‹Pückler-Schlag› auf den Sieseberg schauen. Hier wird der Frankfurter Autor Eckhart Nickel seinen neuen Roman ‹Spitzweg› vorstellen. Er berichtet von einem eigentlich zufriedenen Kunstbanausen, der plötzlich und unerwartet eine Passion für den Biedermeier-Maler Carl Spitzweg entwickelt, die schließlich so weit geht, dass er zum Verbrecher wird. Schon in seinem vielbeachteten Vorgängerroman ‹Hysteria› hat Nickel die Geschichte einer Obsession erzählt. In ‹Spitzweg› schlägt er den Bogen von der ‹Bildvergötterung› des 19. Jahrhunderts zur heutigen Digitalgesellschaft und der Sucht nach ständiger ‹Instagramabilität›.
Von einem deutschen Biedermeier-Maler handelt auch der einzige Roman des schwäbischen Lyrikers Eduard Mörike, ‹Maler Nolten›, aus dem die Schauspielerin Julia von Sell lesen wird. Der bei seinem Erscheinen im Jahre 1832 äußerst erfolgreiche Bildungsroman zeichnet den Weg des einfachen Jungen Theobald Nolten nach, der zum einflussreichen Maler wird. Die Form des Romans, die Gedichte und Prosa vereint, und sein neues Stilempfinden gelten heute als typisch für die Literatur der Biedermeierzeit und verweisen auch auf Spitzwegs Gemälde.
Die Flötistin Dorothee Oberlinger bringt in ihrem Programm die Zeitschichte und die Metamorphosen des Schlosses Rheder mit dessen besonderen Orten wie dem Barockgarten, dem Chinesischen Zimmer oder dem Husarenmuseum zum Klingen. Mit dem nahezu unspielbaren Stück ‹Gesti› von Luciano Berio widmet sich Oberlinger dem Spielzeitmotto ‹Unendlicher Spaß›, wie auch mit ‹Der Affenspieler› von Isang Yun. Hinter letzterem, das von einem Gaukler und seinem tanzenden Affen auf dem Jahrmarkt erzählt, verbirgt sich eine Regimekritik an Korea. Der Affe ist ein Symbol für das dumme Volk, das sich an der Nase herumführen lässt. Aus der Zeit Spitzwegs und seiner ‹Kammerspielidylle› stammt die ‹Sonate Brillante› von Anton Heberle. Das Stück wurde original für eine Spazierstockflöte geschrieben, eine in einen Spazierstock eingebaute Flöte, die besonders zur Zeit des Biedermeier sehr beliebt war.
Der Schriftsteller und Journalist Eckhart Nickel, geboren 1966 in Frankfurt am Main, studierte Kunstgeschichte und Literatur in Heidelberg und New York. Er gehörte zum popliterarischen Quintett Tristesse Royale und debütierte 2000 mit dem Erzählband ‹Was ich davon halte›. Mit Christian Kracht leitete er bis 2006 die Literaturzeitschrift ‹Der Freund in Kathmandu›. Als Journalist schreibt er heute vorwiegend für die FAS und die Süddeutsche Zeitung. 2017 verfasste er das Drehbuch für den Werbe-Kurzfilm ‹Ode To Kaolin› der Firma Laufen. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2017 wurde er für den Beginn von ‹Hysteria› mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet und schaffte es mit seinem Werk 2018 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. 2019 erhielt er den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis der Stadt Bad Homburg. 2021 erschienen gesammelte Reiseerzählungen unter dem Titel ‹Von unterwegs›. Sein vieldiskutierter und hochgelobter neuester Roman ‹Spitzweg› (April 2022) über ein Schülerkomplott im Kunstunterricht steht aktuell auf Platz 1 der SWR Bestenliste: ‹‹Spitzweg› ist ein Hochamt von Einzelgängertum, künstlerischer Freiheit und Unabhängigkeit. Ein stilistisch beeindruckendes Kunstwerk, das ganz und gar in seiner Kunst aufgeht›, soweit die Jury. Eckhart Nickel lebt in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main.
Die 1956 in Berlin geborene Schauspielerin Julia von Sell absolvierte ihre Schauspielausbildung an der Essener Hochschule für Musik, Theater und Tanz Folkwang. Nach Stationen am Stadttheater Essen, den Ruhrfestspielen Recklinghausen und dem Staatstheater Kassel wurde sie Ensemblemitglied am Theater Bochum. Sie arbeitete dort mit Regisseuren wie Claus Peymann, Matthias Langhoff und George Tabori und war unter anderem in ‹Nathan der Weise› und als Lena in ‹Leonce und Lena› zu sehen. Von 1986 bis 1999 war sie Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater. Später begann sie als Autorin, Regisseurin und Kostümbildnerin zu arbeiten. Sie inszenierte bereits am Landestheater Linz und am Nationaltheater Weimar. Das dort entstandene Stück ‹Faust I› wurde 2001 mit dem Bayerischen Theaterpreis ausgezeichnet. In den letzten Jahren stand Julia von Sell auch wieder selbst auf der Bühne, darunter finden sich Stücke wie Lessings ‹Minna von Barnhelm› bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, ‹Ein toller Tag› am Theater in der Josefstadt und immer wieder Inszenierungen bei den Sommerfestspielen in Reichenau. Seit 2006 unterrichtet sie als Dozentin an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz das Fach Rollengestaltung. 2012 war Julia von Sell zuletzt in dem Fernsehfilm ‹Gestern waren wir Fremde› zu sehen.
Dorothee Oberlinger, 1969 in Aachen geboren, gilt als eine der namhaftesten Vertreterinnen ihres Instrumentes. Sie studierte Blockflöte in Köln, Amsterdam und Mailand. Seit ihrem Konzertdebüt 1997 beim internationalen Wettbewerb SRP/Moeck U.K. in London wirkte sie als Gastsolistin bei zahlreichen Festivals und Konzertreihen in Europa, Amerika und Asien mit. Als Solistin spielt sie für viele bekannte Barockensembles und Orchester, darunter Musica Antiqua Köln, London Baroque oder die Akademie für Alte Musik Berlin. 2002 gründete Dorothee Oberlinger ihr eigenes Ensemble 1700. Sie veröffentlicht regelmäßig CD-Einspielungen barocker Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, ihre Einspielung von Blockflötenkonzerten von Telemann, Graupner und Schultze wurde in die Liste der ‹Besten guten Klassik-CDs› des Kulturspiegels aufgenommen. Neben ihrer Tätigkeit als Musikerin gab sie 2011 ihr Debüt als Dirigentin. Seit 2009 ist sie die künstlerische Leiterin der Arolser Barockfestspiele, außerdem wurde sie 2018 in der Nachfolge von Andrea Palent zur Intendantin der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci benannt. Die mehrfache Echopreisträgerin ist Professorin am Mozarteum Salzburg und leitet dort das Institut für Alte Musik.
Anonym Sephardisches Lied: Nani, Nani
Anonym Mittelalterlicher Spielmannstanz aus dem London Manuscript (14. Jh., Toscana)
Georg Philipp Telemann Fantasie A-Dur für Traversflöte
Isang Yun Der Besucher der Idylle aus: Chinesische Bilder
Anton Heberle Sonata brillante
Jacob van Eyck Engels Nachtegaeltje
Claude Debussy Syrinx
Béla Bartók 44 Duos BB 104 Nr. 32 Tanzlied und Nr. 35 Ruthenische Kolomejka
ca. 19:30
Uhr
Pause
20:30
Uhr
Lesung
Julia von Sell
Eduard Mörike Maler Nolten
Konzert
Dorothee Oberlinger
Johann Sebastian Bach Partita a-Moll für Traversflöte BWV 1013
Isang Yun Der Affenspieler aus: Chinesische Bilder
Georg Philipp Telemann Fantasie C-Dur für Traversflöte TWV 40:6
James Oswald The Reel of Tulloch
Luciano Berio Gesti für Blockflöte solo