Manchmal ist es nur ein Wort, das den Moment verändert. Künstlerische Aneinanderreihung einzelner Gedanken, Erinnerungen oder Träume rühren an, ergreifen. Einen Sommertag lang widmen wir uns daher der ‹schönsten› der literarischen Gattungen: der Lyrik. Manche schreiben ihr ein Nischendasein zu. Doch sind Gedichte altmodisch oder nicht vielmehr zeitlos schön? Sollen wir Poesie heute überhaupt noch lesen? Auf jeden Fall! Denn Lyriker:innen schaffen oftmals das, was manch anderer schwer auszudrücken vermag: Ein Gefühl, einen Zeitgeist mit nur wenigen Worten in eine ganze Welt zu verwandeln. Gegen die Hektik der Zeit ermöglicht das Lesen eines Gedichts einen Moment des Innehaltens, der Reflexion über sich selbst und das Andere.
Bei der Lyriksession versammeln sich sechs Poet:innen und präsentieren ihre Werke mal auf der großen Bühne, mal im Zwiegespräch. Mit Worten und poetischer Bildsprache gelingt es Olga Martynova, Sirka Elspaß, Alexandru Bulucz und Marcel Beyer auf ihre ganz eigenen Weisen, Gedichte in Szene zu setzen. Unterschiedliche Generationen treffen hier aufeinander und zeigen die Bandbreite dieses Genres – eröffnen neue Räume, ziehen Verbindung oder brechen Gegensätze auf. Sie stammen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, sind schon erfahren in ihrem Bereich oder erobern ihn erst neu.
Lyrik ist gesprochene Musik und Musik gespielte Lyrik. Der Tag wird musikalisch begleitet durch Hille Perl & Friends. Die Gambistin Hille Perl tritt in immer neuen Formationen auf – bringt Klänge zu Gehör, die mal sanft, mal unberechenbar erscheinen. Und die, wie die Lyrik selbst, nie unterwerfend, nie konstant sind, sondern vielmehr die Atmosphäre und Stimmungen aufgreifen. Zu Gast sind wir auf dem Schloss Willebadessen, das aus einem säkularisierten Benediktinerkloster hervorging und das durch seine barocke Anlage mit weiten Wiesen und versteckten Gärten besticht. Für uns öffnet das Schloss Scheune, Kreuzgang und Privatgemächer und gibt der ‹kleinen› Gattung den Raum, sich groß zu entfalten.
Sirka Elspaß, geboren 1995 in Oberhausen, hat Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim und Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien studiert. Sie war Preisträgerin beim Treffen junger Autor:innen in den Jahren 2010 und 2012, hat in diversen Magazinen und Anthologien veröffentlicht und war Mitherausgeberin des ‹BELLA triste›- Magazins (Nr. 41 bis 45). Sie war eingeladen zur Meisterklasse des Internationalen Literaturfestivals Berlin 2015, sowie der dritten Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016. 2022 erschien ihr erster Gedichtband ‹ich föhne mir meine wimpern› im Suhrkamp Verlag. Im selben Jahr wurde sie damit für den Debütpreis des Österreichischen Buchpreises nominiert, der Band war außerdem eine der Lyrikempfehlungen 2023.
Olga Martynova, Lyrikerin, Essayistin und Romanautorin ist in Sibirien geboren und in Leningrad aufgewachsen, wo sie in den 1980er Jahren die Dichtergruppe ‹Kamera Chranenia› mitbegründete. 1991 zog sie zusammen mit Oleg Jurjew (1959–2018) nach Deutschland. Olga Martynova ist Mitglied des PEN und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz). Sie erhielt u. a. den Ingeborg-Bachmann-Preis (2012) und den Berliner Literaturpreis (2015). Zuletzt erschien ihr Buch ‹Such nach dem Namen des Windes› im S. Fischer Verlag. Die Gedichte dieses Bandes lassen Raum für Trauer und Krieg, für Befragung und Wut, aber auch für das Alltägliche und die Bewunderung der Welt. Vom Ende der neunziger Jahre an hat sie ihre Prosa auf Deutsch und ihre Gedichte auf Russisch geschrieben. Seit dem Tod ihres Mannes, des Dichters Oleg Jurjew, schreibt sie nicht mehr in russischer Sprache.
Der Schriftsteller Marcel Beyer wurde 1965 in Württemberg geboren, wuchs später in Kiel und Neuss auf. Bis 1991 studierte er Germanistik, Anglistik und Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. 1992 absolvierte er schließlich sein Magister mit einer Arbeit über die Schriftstellerin Friederike Mayröcker. Beyer ist Träger zahlreicher Preise, darunter der Joseph-Breitbach-Preis 2018, der Peter-Huchel-Preis in 2021 und zuletzt der Samuel-Bogumil-Linde-Preis in 2023, gemeinsam mit seinem Kollegen Tomasz Różycki. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen u. a. die Romane ‹Menschenfleisch› (1991), ‹Flughunde› (1995), ‹Spione› (2000), die Essaysammlung ‹Nonfiction› (2003) und die Gedichtbände ‹Falsches Futter› (1997) und ‹Erdkunde› (2002). Weiterhin ist der Schriftsteller in der wissenschaftlichen Forschung tätig und beteiligte sich u. a. am Max-Planck-Institut (2008) als ‹writer in residence›.
Alexandru Bulucz, geboren 1987 in Alba Iulia, verbrachte seine Kindheit in Rumänien und lebt seit seiner Jugend in Deutschland. Er ist freischaffender Autor, Übersetzer, Kritiker und Herausgeber. Für seine Lyrik wurde er u. a. mit dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis beim Literarischen März (2019) ausgezeichnet, für seine Prosa mit dem Deutschlandfunk-Preis beim Bachmannwettbewerb (2022). Aus dem Rumänischen ins Deutsche übersetzt hat er u. a. Alexandru Vona, Eugène Ionesco und Andra Rotaru. Jurytätigkeiten hatte er zuletzt für die Arbeitsstipendien des Berliner Senats, den Dresdner Lyrikpreis, den Open Mike und den Berliner Kunstpreis in der Kategorie Literatur. Im Frühjahr 2024 erschien sein dritter Gedichtband ‹Stundenholz›.
Hille Perl spielt seit ihrem fünften Lebensjahr Viola da Gamba. Für die vielfach ausgezeichnete Gambistin ist Musik das vorrangige Medium der zwischenmenschlichen Kommunikation. Präziser, unmissverständlicher und intensiver als Sprachen, von größerer emotionaler Signifikanz als andere Erfahrungen, mit der Ausnahme von Liebe. Musik ist für sie eine Methode nicht nur die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden, sondern auch, sich widersprechende Aspekte menschlicher Existenz miteinander zu vereinen. Sie hat weltweit Konzerte gespielt, mit verschiedenen Ensembles oder als Solistin und Duopartnerin des Lautenisten und Komponisten Lee Santana, in letzter Zeit mit Michala Petri (Blockflöte), Mahan Esfahani (Cembalo) oder Avi Avital (Mandoline). Die Musik des 17. und des 18. Jahrhunderts sind ihre geistige Heimat, aber manchmal entführt die Musik sie auch weit weg davon, an Orte, von denen sie nicht einmal träumte – wie ihre CD ‹Born to be mild› mit Werken für zwei E-Gamben und E-Gitarre beweist. Zahlreiche ihrer CD‘s sind bei SONY Classical erschienen, sowohl Solowerke als auch mit ihren Ensembles Los Otros, Sirius Viols oder Age of Passions. Seit 2002 ist Hille Perl Professorin einer Gambenklasse an der Hochschule für Künste in Bremen. Dort lehrt sie ihre Studierenden seither alles, was sie über Musik und das Gambenspiel weiß.
Der Gambistin Marthe Perl wurde das Musizieren dank ihrer Familie in die Wiege gelegt, obwohl sie anfangs entschlossen war, keine Musikkarriere einzuschlagen. In ihrer Kindheit nahm sie vorerst sporadischen Gesangs- und Klavierunterricht, bis sie sich mit 15 Jahren dem Instrument ihrer Wahl, der Viola da Gamba, zuwandte. Später perfektionierte die junge Musikerin das Gambenspiel in einem Studium an der Hochschule für Künste in Bremen und machte sich seither bei Auftritten mit renommierten Chören und Orchestern einen eigenen Namen in der Barockszene. Ebenso tritt die Musikerin im Mutter-Tochter-Duo mit Hille Perl auf und ist auch in anderen Ensemble-Gruppen wie ‹Trio de la Nuit› oder ‹La Ninfea› aktiv, in denen sie Alte Musik mit Neuer Musik und Pop kombiniert, um alle Altersklassen für die Gambe zu begeistern. Mit ihrer Mutter und dem Perkussionisten Murat Coşkun bilden sie das Trio ‹Hille Perl & Friends› und bespielen Bühnen auf der ganzen Welt.
Durch die Beeinflussung verschiedener Musikstile wie Weltmusik, Alte Musik, Jazz und Neue Musik kreiert der Perkussionist, Dozent, Komponist und Festivalleiter Murat Coşkun seinen ganz eigenen Stil. Seine musikalische Welt bewegt sich zwischen Orient und Okzident, woraus er ein großes Musikrepertoire schöpft und dieses auf Konzerten auf der ganzen Welt zum Besten gibt. Neben seiner Solo-Karriere wirkt der Musiker auch in renommierten Orchestern wie dem ‹Freiburger Barockorchester› oder den ‹Tonkünstler Orchester Österreich› mit. Zudem arbeitete Coşkun schon mit anderen namenhaften Musiker:innen zusammen, wie mit dem Klarinettisten Giora Feidman oder dem fünffachen Grammy-Gewinner Glen Velez. Sein Können hat der Musiker schon zahlreich auf Ton- und Bildträgern unter Beweis gestellt, u. a. auf seiner Debüt-CD ‹Frames & Drums› (2012) oder bei seiner letzten Veröffentlichung ‹Colours of Eurasia› (2021) im Ensemble ‹FisFüz›. Zusammen mit dem Mutter-Tochter-Duo Hille und Marthe Perl, konzertiert er als Trio unter dem Namen ‹Hille Perl & Friends›, und rundet das musikalische Spektakel mit seiner Trommel ab.